Dokumentation der 16. Strategiekonferenz 2022 der Kooperation für den Frieden

28.04.2022

Gemeinsame Sicherheit in Europa und weltweit - durch Abrüstung, Kooperation und Klimagerechtigkeit

„Gemeinsame Sicherheit in Europa und weltweit - durch Abrüstung, Kooperation und Klimagerechtigkeit“ war das Motto der 16. Strategiekonferenz der Kooperation für den Frieden vom 18.-19. Februar 2022 in Weimar. Sie fand wenige Tage vor dem Beginn des Angriffskrieges Russlands statt, den zu dem Zeitpunkt wohl alle Teilnehmenden noch für ausgeschlossen hielten. Die Konferenz wurde hybrid mit knapp hundert Teilnehmenden durchgeführt.

Nach einer musikalischen Eröffnung begann die Tagung mit Grußworten von Bodo Ramelow, Ministerpräsident des Freistaates Thüringen, Ulrich Dillmann, Leiter der VHS, sowie von Sabine Lötzsch vom regionalen Trägerkreis Rüstungskonversion Jena.

Klimagerechtigkeit und gemeinsame Sicherheit.
Das inhaltliche Programm startete mit dem Vortrag von Prof. Ernst Ulrich von Weizsäcker, ehemaliger SPD-Bundestagabgeordneter und Gründungspräsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie. Er begann mit einer – wie er es nannte – „erschreckenden Wahrheit“: Das Bruttoinlandsprodukt (BiP) gehe strikt mit CO2-Ausstößen einher. „Je mehr Wohlstand, desto mehr CO2!“, so seine engagiert und überzeugend vorgetragene These. Dabei spiele seit 1990 die Globalisierung eine wesentliche Rolle, was auch hieße, dass die Finanzmärkte den Staat in Steuerfragen erpressen konnten. Ein Beispiel ist die im Sinkflug befindende Unternehmenssteuer. „Der Staat wird schwächer, die Finanzmärkte immer stärker!“ Die (26.) Climate-Conference 2021 in Glasgow - die mit dem 1,5 Grad-Ziel an das Pariser Abkommen erinnerte - habe international erneut klar gemacht, dass es einen tiefen Graben zwischen dem Norden und Süden gebe. Weizsäckers Appell: Wer nicht daran arbeite, ihn zu überwinden, meine es nicht ernst mit dem Klimaschutz. Weltweit seien ca. 400 neue Kohlekraftwerke in Plan oder Bau, hauptsächlich in den Ländern des Südens. Europa sei der einzige Kontinent, der die Klimakrise ernst nehme. Von deutscher Seite müsse jetzt tatsächlich eine aktive „Klimaaußenpolitik“ stattfinden.

Das Olaf-Palme-Projekt gestern und heute
Anna Sundström aus Schweden, Generalsekretärin des Internationalen Olof Palme-Zentrums in Schweden und ehemalige Politikberaterin, erinnerte an das Jahr 1977, wo unter der Leitung von Willy Brandt die Nord-Süd-Kommission zusammenkam. Willy Brandt wollte eine weltweite Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd, Entspannungspolitik sowie den Einsatz für die Zukunft des Weltfriedens. Viele der Empfehlungen der Olof Palme-Kommission auf der 2. UNO-Vollversammlung (1982) seien noch immer gegenwärtig. Der Begriff der „Gemeinsamen Sicherheit“ stamme aus dem Titel des Palme-Berichts „Common Security: A Blueprint for Survival“, dem Abschluss der Unabhängigen Kommission für Abrüstung und Sicherheit der Palme-Kommission (1980-82), der Schwedens Premierminister Olof Palme vorsaß. Die Kernprinzipien, z.B. Interdependenz, gemeinsame Verantwortung und „Sicherheit mit“ statt „Sicherheit gegen“ wurden in die „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE, heute OSZE) eingebracht. Aktuell gehe es erweitert um nachhaltige Entwicklung, sozial und ökologisch. Für eine europäische Sicherheitsstruktur sei es bedeutsam, dass Russland, die EU und die USA trotz unterschiedlicher innergesellschaftlicher und außenpolitischer Rahmenbedingungen die gemeinsamen Herausforderungen annähmen: Sicherheit miteinander und nicht gegeneinander zu gestalten.

Gemeinsame Sicherheitspolitik im Südchinesischen Meer.
Prof. Dr. Zhao Tong aus Peking stellte per aufgezeichnetem Video den Mainstream zu Gemeinsamer Sicherheit aus chinesischer Sicht vor. Sie sei ein wichtiges Thema in China. Es betone die friedliche Konfliktbearbeitung und lehne Gewalt ab. Es sei Chinas Interesse, kollektive Wirtschaft und Wachstum zu fördern. Zum Aufbau gegenseitigen Vertrauens hätten chinesische Staatsbedienstete ein Konzept entwickelt, denn China sei von Natur aus friedlich, ja pazifistisch, es verstehe sich als eine gutartige, ja bescheidenste Macht in der ganzen Welt. Seine eigenen Territorialansprüche sehe China gerechtfertigt und lasse sich deshalb nicht einschränken. In der Praxis sei dies jedoch schwierig umzusetzen, z.B. setze Südkorea viel politisches und diplomatisches Geschick ein, um nur die eigene Sicherheit zu stabilisieren. Dem Atomwaffenverbotsvertrag könne China nicht zustimmen, seien doch Atomwaffen im Konflikt mit den USA notwendig. Das Beste für das Volk sei die Herrschaft der Partei. Westliche Länder seien machtzentriert und sorgten sich nicht wirklich um die Menschenrechte; diese würden nur genutzt, um die eigenen Interessen zu schützen. Dennoch sei China grundsätzlich an einem Konzept der Gemeinsamen Sicherheit interessiert und möchte mit diesem Beitrag vermitteln, dass China versuche, in Dialog zu treten, so Prof. Tong. Wegen des Videos war leider keine anschließende Diskussion mit ihm persönlich möglich.

Der strategische Kompass der EU
Tarja Cronberg, Mitarbeiterin von SIPRI und bei den finnischen Grünen, fragte zu Beginn: „Wovon sprechen wir bei europäischer Sicherheitspolitik?“ Zum EU-Sicherheitsplan gehören auch Großbritannien, die Schweiz, Russland liege im Zentrum von Europa. Nach mehreren Jahren Frieden sei die Europäische Union am Scheidepunkt und müsse über eine globale Strategie für Sicherheit und Verteidigung auch über die Grenzen hinaus sprechen. Die USA habe Interesse an einer Debatte mit der EU, soll die NATO in der EU mitwirken? Darüber gebe es keine Übereinstimmung. Aktuell müsse es darum gehen, eine strategische Autonomie der EU zu entwickeln, d.h. eigene außen- und sicherheitspolitische Prioritäten zu setzen sowie eine europäische strategische Souveränität mit eigener Handlungsfähigkeit.

2020 habe die EU einen „Strategischen Kompass“ (SK) (1) erarbeitet, als Grundlage für eine gemeinsame Vision von Sicherheit und Verteidigung, die die Richtung für ihr künftiges Handeln vorgebe. Sie werde in 2022 verabschiedet und aus vier Dimensionen bestehen: Partnerschaft, Krisenmanagement, Entwicklung von Resilienz und Kapazitätsentwicklung. Die Frage sei, ob der SK ein sicherheits- und verteidigungspolitisches Konzept ist? Oder bedeute er die Militarisierung der EU plus Verteidigungspolitik? Cronberg regte an, alternativ einen friedenspolitischen und sicherheitsstrategischen Kompass zu entwickeln. Verteidigung sei immer wichtig, um zu beschützen, aber auch um Partnerschaften aufzubauen. Die Ukraine in der NATO widerspreche Gemeinsamer Sicherheit. Der Aufbau von Vertrauen müsse Teil eines solchen SK und ein multilateraler Weg sein, nicht nur gemeinsame Ziele in Europa zu erreichen, gleichberechtigt zusammenzuarbeiten oder grenzüberschreitendende Probleme zu lösen, sondern auch für gemeinsames Überleben, für Frieden und Sicherheit in Europa.

Neue Entspannungspolitik
Der Historiker Prof. Dr. Peter Brandt, engagiert in der Kampagne „abrüsten statt aufrüsten!“ und der Initiative „Neue Entspannungspolitik JETZT!“, begann seinen Vortrag mit einem kurzen Blick in die Geschichte. Die heute unabhängige Ukraine sei ein Nebenprodukt des Zerfalls der Sowjetunion. Ukrainisch ist seit 1991 Amtssprache, Russisch werde von fast der gesamten Bevölkerung gesprochen. Religion gelte als Stütze nationaler Identität. Die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche ist eine autonome Kirche innerhalb der Russisch-Orthodoxen Kirche mit dem Zentrum in Kiew und untersteht formal dem Patriarchat von Moskau. In den besetzten Gebieten (den sog. Volksrepubliken Donezk und Lugansk) ist nur die Russisch-Orthodoxe Kirche zugelassen. Zwischen der West- und Ost-Ukraine gebe es noch immer einen tiefen Graben. Um Reformen durchzuführen, habe Präsident Wolodymyr Selenskyj nur eine geringe Machtbasis in der Bevölkerung.
Zur Entspannungspolitik: Erst verstärkte Initiativen für Frieden, Sicherheit und Entspannung schafften Handlungsmöglichkeiten. Substantielle Abrüstung sei angesagt. Besonders im Atomzeitalter sei gemeinsame Sicherheit existentiell und Entspannungspolitik geboten. Das Denken in Feindbildern und Nullsummenlogik nehme wieder zu. Das Ziel der Initiative „Neue Entspannungspolitik JETZT!“ sei es, von den Erfahrungen der Entspannungspolitik in den 60er bis 80er Jahre zu lernen: „Sie muss mit Gegnern, nicht mit Freunden betrieben werden. Es geht darum, durch Entspannung die Kontrahenten und ihr Denken und Handeln zu verstehen, Gewalt zu verhindern und beiderseits akzeptable Lösungen zu finden“. (2) Nach Einschätzung von Brandt wird es erst Frieden und Entspannung geben, wenn gesichert sei, dass es eine Demokratisierung in Autokratien wie Russland gebe.

Arbeitsgruppen und Abschlusspodium
Die Bedeutung einer Politik gemeinsamer Sicherheit für Ziele und Handeln der Friedensbewegung diskutierten verschiedene Arbeitsgruppen zu den Themen Klimagerechtigkeit, zivile Friedenssicherung, Gemeinsame Sicherheit mit Russland, „Sicherheit neu denken“ und EU-Militarisierung. Am Ende der Sitzungen standen erste Ideen für Strategien zur Umsetzung der Ziele.

Das abschließende Podium, „Wege zu einer gemeinsamen Sicherheit“, brachte Politik und Friedensbewegung ins Gespräch. Moderiert von Wiltrud Rösch-Metzler (Co-Sprecherin der KoopFrieden) diskutierten Andrè Hunko (Die Linke), Dr. Holger Becker (MdB, SPD Jena) und Susanne Grabenhorst (IPPNW). Übereinstimmung: Auf alle Fälle weiter miteinander reden. Konzepte gebe es zuhauf, das Problem sei die Umsetzung.


Anmerkungen
1 https://www.bmvg.de/de/mediathek/strategischer-kompass-handlungsfaehige-eu-4509016
2 https://neue-entspannungspolitik.berlin/ueber-uns/

Mehr Informationen zur Tagung: http://www.koop-frieden.de/strategiekonferenz-2022-weimar

Renate Wanie (Werkstatt für Gewaltfreie Aktion) ist Mitglied in der Redaktion des Friedensforums. Sie bereitete die Tagung zusammen mit Reiner Braun (International Peace Bureau), Sabine Lötzsch (Trägerkreis Rüstungskonversion Jena), Wiltrud Rösch-Metzler (Pax Christi), Torsten Schleip (Initiative „Welt ohne Waffen“ Weimar) und Kristian Golla vom Bonner Büro der Friedenskooperative vor.

[Der Bericht erschien im FriedensForum 3/2022]